Das Labyrinth

 

Das Labyrinth ist, wie die Spirale, ein archetypisches Ursymbol, das seit 4000 Jahren fast überall auf der Welt, vorzugsweise aber im atlantischen und mediterranen Raum vorkommt.

Historisch wurde das Labyrinth mit dem sagenhaften Bauwerk des Daidalos auf Kreta verknüpft, in dem Minotauros, ein Wesen halb Stier, halb Mensch, gefangen ist und Menschenopfer verlangt - bis ihn schließlich Theseus bezwingt und tötet, und am Faden der Königstochter Ariadne wieder aus dem Labyrinth herausfindet.

Erste Darstellungen finden sich als Felsritzungen in Spanien, Italien und Sardinien (ca.2000 v.Chr.), auf Tontäfelchen in Griechenland und Syrien (1200 v.Chr.), auf einem etruskischen Tonkrug (620 v. Chr.), und später auf kretischen Münzen (500 v.Chr.) und römischen Mosaiken (80 v.Chr.). Im Mittelalter sind Labyrinthe als Pilgerwege in Kirchen in Frankreich und Italien, als Rasenlabyrinthe in England und als Trojaburgen genannte Steinsetzungen in Skandinavien weitverbreitet. Als Gartenlabyrinthe, oft in Form von Irrgärten, waren sie seit der Renaissance lange Zeit in Mode. Im 20.Jahrhundert begann ein weltweites Labyrinthrevival, das vorallem auch den spirituellen Charakter des Labyrinths betont.

Das Labyrinth ist (nach H.Kern) eine Orientierungsfigur. Ein einziger Weg führt, auf Umwegen die zum Abschreiten des gesamten Innenraums nötigen, aber ohne Sackgassen oder Wahlmöglichkeiten, ins Zentrum. Dieser Weg verlangt stete Bewegung und Richtungswechsel. Es ist ein Weg der Läuterung. Im Zentrum begegnet man sich selbst, geschieht Tod und Wiedergeburt. Doch erst wenn der Rückweg geschafft ist, ist die Wandlung vollendet.

Eine Interpretation des Hürnen Seyfrid als Labyrinthweg der Läuterung und Wandlung bietet sich geradezu an:

Ein verhaltensgestörter junger Mann wandelt sich zum Wohlfahrt bringenden Staatsmann.

Der Ritt in den unwegsamen Wald, der Aufenthalt im und am Drachenstein, der Kampf mit dem Riesen und mit dem in einen Drachen verwandelten Menschen, die Befreiung des Zwergenvolks und der Königstochter sowie die Rückkehr unter Zurücklassung des gefundenen Schatzes lassen sich unschwer mit dem Labyrinth und seinen Konnotationen (Symbol, Mythos, Spiel) in Verbindung bringen.

Von der Literaturwissenschaft bisher kaum beachtet ist die Tatsache, daß, außer der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung der Geschichte vom Hürnen Seyfrid mit dem Labyrinthmythos, auch der narrative Diskurs, also die erzählerische Darstellung, labyrinthisch ist.

Gemeinsame Darstellungen von Drachen(kampf) und Labyrinth finden sich aus dem 12.Jh.in der Basilika San Michele Maggiore in Pavia, auf Kacheln aus dem Kloster Toussaints in Chârlons-sur-Marne, 14.Jh.(zerstört 1544), und in den "Figura Labyrinthi" - Drucken hrsg.von Johannes Stabius, Nürnberg 1497.

Die Gefangenschaft / Befreiung einer Frau aus dem Labyrinth begegnet uns in den alten skandinavischen Labyrinthspielen: Jungfrudans, Haus der Trolle und Grimborg's Braut, auf einem Fresko in der Kirche von Sibbo in Nyland, Finnland (15.Jh.), in keltischen und englischen Julian's Bower Geschichten, in der afghanischen Erzählung von Prinzessin Shamaili und Prinz Jallad Khan, in Al-Biruni's Fassung (1045 n.Chr.) des altindischen (dem Nibelungenlied vergleichbaren) Ramayana-Epos, in dem Rama seine Frau Sita aus der Labyrinthfestung Lanka des Dämonenfürsten Ravana befreit, sowie in einer äthiopischen Erzählung, in der Sirach einen Tunnel in den labyrinthförmigen Palast König Salomons gräbt und mit einer der Königsfrauen flieht.

Bemerkenswert ist auch die Parallele des Trachenstayn im Hürnen Seyfrid mit dem Krummen Berg (Vanga-giriya) im Vessantara Jataka im Jatakam. Auf den Trachenstayn wird Prinzessin Kriemhild vom Drachen entführt und in seinen Höhlen, bewacht vom Riesen Kuperan, gefangengehalten. Seyfrid kämpft dort mit dem Riesen und dem Drachen, befreit sie und findet einen Schatz. Auf den Krummen Berg wird Prinz Vessantara, die vorletzte Inkarnation von Gautama Buddha, verbannt. Dort, am Fuß des Himalaya im dichten Dschungel, lebt er mit seiner Frau Maddi und den beiden Kindern in zwei Laubhütten 7 Monate lang ein asketisches Leben. Der Krumme Berg wird als Labyrinth (kret.Typ mit 7 Gängen) dargestellt.

So erweist sich der Hürnen Seyfrid als eng mit dem Labyrinth-Mythos verbunden und erscheint als eine Variante der Labyrinth-Mythe.

 

Literaturhinweise:

Siegfried Holzbauer: Das Lied vom Hürnen Seyfrid.
Klagenfurt: Wieser 2001

Hermann Kern: Labyrinthe. Erscheinungsformen und Deutungen.
München: Prestel 1995 (3.Aufl.)

Gernot Candolini: Das geheimnisvolle Labyrinth. Mythos und Geschichte eines Menschheitssymbols.
Augsburg: Pattloch 1999

Sig Lonegren: Labyrinthe, Antike Mythen und moderne Nutzungsmöglichkeiten.
Frankfurt: Zweitausendeins 1993

Nigel Pennick: Das Geheimnis der Labyrinthe. Eine Reise in die Welt der Irrgärten.
München: Goldmann 1992

Adrian Fisher, Howard Loxton: Geheimnis des Labyrinths.
Aarau: AT Verlag 1998

Manfred Schmelling: Der labyrinthische Diskurs. Vom Mythos zum Erzählmodell.
Frankfurt/M.: Athenäum 1987

Abb.©aus Eichfelder's 100 Labyrinthe Archiv

 

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