Klara Blum und ihr Roman Der Hirte und die Weberin

朱白兰:《牛郎织女》

von Yang Zhidong ©2006

 

Klara Blum wurde 1904 in Czernowitz, als Tochter j¸discher Eltern geboren. Sie wuchs in Wien auf, wo sie bis 1934 journalistisch und literarisch t”tig war. Mit dem Gedicht ÑBallade vom Gehorsamì gewann sie den Literaturpreis der ÑInternationalen Vereinigung Revolution”rer Schriftstellerì, in Form einer zweimonatigen Studienreise in die Sowjetunion. Aus zwei Monaten wurden elf Jahre. In Moskau lernte sie den chinesischen Kommunisten und Theaterregisseur Zhu Xiangcheng kennen, verliebte sich in ihn und verbrachte vier gl¸ckliche Monate mit ihm. Dann verschwand er spurlos und f¸r immer. Sie vermutete, dass er von der kommunistischen Partei nach China zur¸ckberufen worden sei und ihr nichts dar¸ber sagen durfte. Um ihn zu finden, schlug sie sich um die halbe Welt durch, und ging nach Shanghai, seiner Heimatstadt. Doch sie fand ihn auch in China nicht und beschloss, trotzdem in seinem Land zu bleiben. Aus der Dichterin Klara Blum wurde die Professorin Zhu Bailan. Mehr als 30 Jahre suchte sie unbeirrbar und hartn”ckig nach ihrem verschollenen Geliebten. Ihre Suche musste jedoch vergeblich bleiben, denn dieser war 1938 vom Sicherheitsdienst Stalins wegen Spionage verhaftet worden und bereits 1943 in einem sibirischen Lager gestorben (was man allerdings erst 1990 erfuhr).

 

Klara Blum hat einen Roman, sechs Gedichtb”nde, f¸nf Novellen, zahlreiche Gedichte, Reportagen, Buchbesprechungen und Nachdichtungen aus verschiedenen Sprachen publiziert. Zwei unver–ffentlichte Romane fanden sich im Nachlass. Ein Teil ihrer Lyrik und Prosa ist in Zeitungen und Zeitschriften mehrerer L”nder und Kontinente verstreut.

 

Vier Kulturen sind in der Biographie und in den Werken Blums vereinigt. Das Geflecht des J¸dischen, des Alt–sterreichischen, des Sowjetischen und des Chinesischen kreuzen einander. Drei ideologische Perspektiven treffen hier zusammen: die Zionistische, die Sozialistische und die Feministische. In vielf”ltigen literarischen Gattungen ñ Lyrik, Publizistik und Erz”hlprosa ñ werden verschiedene Epochen reflektiert: das galizische Schtetl mit seinen M”rchen und Mythen, das Rote Wien der 20er und beginnenden 30er Jahre, Moskau vor, in und nach dem Zweiten Weltkrieg, die kommunistische Macht¸bernahme in China. Der Schwerpunkt ihrer journalistischen Arbeit liegt in der Wiener Zeit, der ihres lyrischen Schaffens in der Moskauer Zeit, der ihres Erz”hlwerkes in der Zeit in China. Die einzigartigen Erfahrungen, die sie als Europ”erin im Reich der Mitte machte, verbunden mit ihrer authentischen Liebesgeschichte, sind in ihrem Roman Der Hirte und die Weberin (Rudolstadt 1951) dokumentiert.

 

 

Der autobiographische Roman Der Hirte und die Weberin (Nju-Lang, Dshe-N¸) gilt als ihr Hauptwerk. Er basiert auf ihren pers–nlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Die Romanfigur Hanna Bilkes tr”gt zahlreiche autobiographische Z¸ge der Autorin. Als Blum den Roman schrieb, hatte sie bereits viele Jahre in China gelebt und Land und Leute kennengelernt. Sie zeigt uns den Gegensatz zwischen dem alten, traditionellen China und dem neuenheutigen China; doch sie verkennt die Sch–nheit und die Grossartigkeit der Tradition nicht. Sie macht uns mit religi–sen Gebr”uchen, alten M”rchen und Legenden bekannt, und f¸gt alte Verse ein, mit, wie sie schreibt, Ñmythisch zartem Inhalt in bunter, kristallt–nender Spracheì.

 

Der Roman beginnt in Shanghai im Sommer 1929 mit der chinesischen Opernauff¸hrung der Legende Nju-Lang he Dshe-N¸ (Der Hirte und die Weberin), die dem Roman auch den Titel gibt. Nju-Lang, der Kuhhirte, ist auch der Name eines jungen Chinesen, der unter den Zuschauern sitzt. Zwei Jahre zuvor hat er mit einem Freund eine Abendschule f¸r arme Leute ñ wie Kulis und Fabrikarbeiter ñ gegr¸ndet. Jetzt, bei diesem traditionellen ÑGefunkel und Geleier und Gehopseì, kommt ihm die Idee, ein modernes Theater zu schaffen, das Theater des zeitgen–ssischen Chinesen. Das Amateurtheater Meihua (Pflaumenbl¸te) kommt zustande, und mit der Auff¸hrung von modernen St¸cken ñ etwa zeitgen–ssischen Volksdramen wie Tian Han¥s ÑNacht im Cafeì und ÑDer Tiger kommtì, Chao Yu¥s ÑGewitterì, Gorki¥s ÑNachtasylì oder Tschechow¥s ÑOnkel Wanjaì ñ hat Nju-Lang Erfolg. Diese zum Teil linksorientierten Theaterst¸cke erregen aber auch die Aufmerksamkeit der Polizei. Nju-Lang droht die Verhaftung, er muss das Land verlassen und f”hrt nach Paris.

 

Im zweiten Teil, der im Jahr 1937 spielt, finden wir Nju-Lang in Moskau wieder. Im Moskauer B¸ro der Internationalen Arbeiterhilfe lernt er zwei polnische Juden kennen. Hier beginnt er sich f¸r die Frau, Hanna Bilkes ñ j¸dische Schriftstellerin aus Galizien ñ zu interessieren. Hanna, eine Sympathisantin der Kommunistischen Partei, erwidert bald seine Liebe. Aber nur vier Monate sind sie zusammmen, denn dann verschwindet Nju-Lang spurlos. Hanna hofft zuerst, dass er wieder auftauchen werde. Dann sucht sie ihn ¸berall, jedoch ohne Erfolg. Hanna vermutet, dass er im Auftrag der Kommunistischen Partei nach China zur¸ckgekehrt sei, dass er ihr nicht schreiben und ihr nicht verraten d¸rfe, wo er sich aufh”lt, weil er geheime Arbeit leistet. Sie sind jahrelang getrennt, ohne dass einer vom anderen etwas erf”hrt. Aber jeder glaubt an die Liebe und Treue des anderen, wie der Hirte und die Weberin aus der Sternenlegende. Beide f¸hren Tagebuch. Hanna beschliesst schliesslich, nach China zu gehen, um ihn unter Millionen Chinesen zu finden. Nach dem Kriegsende erreicht sie endlich, auf dem Umweg ¸ber Polen, die Tschechoslowakei und Frankreich, 1947 das Land ihres Geliebten.

 

Die Suche der Weberin (Hanna) nach dem Hirten (Nju-Lang) f¸hrt zum Ausgangspunkt Shanghai zur¸ck. In Shanghai nimmt Hanna Kontakt mit Mutter Wang auf, deren Sohn, ein ehemaliger Kuli, ein Sch¸ler von Nju-Lang in der Abendschule war. An der Hochschule, an der sie Vorlesungen h”lt, trifft sie Nju-Langs Sohn Xinlu (Neuer Weg) und Nju-Langs Schw”gerin Caiyun (Leuchtende Wolke), aber keiner weiss etwas von Nju-Lang; man h”lt ihn f¸r tot. Hanna glaubt nicht an seinen Tod. Nachdem der Nordosten Chinas (die ehemalige Mandschurei) in die H”nde der Kommunisten gefallen ist, f”hrt Hanna nach Peking, wo sie ihren Geliebten vermutet. Nach schweren Wochen bekommt Hanna die erste Nachricht, dass er lebt. Aber sie darf ihn nicht sehen. Nju-Lang hat inzwischen viele wichtige Arbeiten f¸r die Partei geleistet. Er hat den Gedichtband von Hanna, den sie ihm zukommen liess, ¸berallhin mitgenommen und glaubt nicht mehr, Hanna wiederzusehen. Zuf”llig erf”hrt er nun, dass Hanna nach China gekommen ist; aber seine geheime Arbeit erlaubt es nicht, ihr entgegenzufahren.

 

Dank ihrer Hartn”ckigkeit erlaubt man Hanna schlieþlich, einige Stunden mit Nju-Lang zu verbringen. Nach elfj”hriger Trennung treffen einander die beiden Liebenden in einer Nacht in der H¸tte von Mutter Wang, um am n”chsten Morgen wieder auseinanderzugehen. Sie wissen nicht, ob sie einander jemals wiedersehen werden, denn Nju-Lang muss weiter f¸r sein Volk k”mpfen. Sie versteht ihn und ist einverstanden, weil auch sie sein Volk und sein Land liebt: ÑDa stand sie nun, am Ziel und doch nicht am Ziel, eingeschlossen im k–stlichen Ring der Umarmung, den sie elf Jahre lang entbehrt hatte und morgen wieder entbehren sollte, vielleicht monatelang, vielleicht jahrelang und vielleicht bis ins Alter und vielleicht bis in den Todì.

 

ÑD¸nne Wolken wob die Frau, / Ferne Sterne wob sie ein, / Spitzer Blitze Flammenschein, / Seidnen Wind, kristallnen Tau...ì Mit diesem Titellied der chinesischen Oper ÑNiulang und Zhin¸ì (Der Hirte und die Weberin) beendet die Autorin ihren Roman. Ihr Schicksal ”hnelt dem des M”rchens von den beiden Sternbildern ÑNiulangì und ÑZhin¸ì. ÑNiulangì und ÑZhin¸ì sind ein Liebespaar und wohnen auf den beiden Seiten der Milchstrasse. Nur einmal im Jahr k–nnen sie sich treffen, n”mlich am siebenten Tag des siebenten Monats nach dem chinesischen Mondkalender. Das ganze Jahr warten die beiden auf diesen Tag, an dem Elstern eine schwingende Br¸cke bilden damit die Weberin den Himmelsfluss, die Milchstrasse, ¸berqueren kann. Sie haben sich nie dar¸ber beklagt, nur einmal im Jahr zusammen sein zu k–nnen. Blum nahm die bekannteste chinesische Volkslegende als ein Symbol f¸r das eigene Schicksal. Die Elster versinnbildlicht im chinesischen Mythos die eheliche Treue.

 

Die Autorin verbindet ihre eigene Liebesgeschichte mit dem M”rchen und gibt ihr dadurch eine spezifisch poetische Gestalt. Den Hintergrund bilden zeithistorische Ereignisse: die Judenverfolgung in Europa, das Emigrantenmilieu in Moskau und Shanghai, der B¸rgerkrieg in China. Lion Feuchtwanger fand darin Ñdie sch–nsten Schilderungen des heutigen China, mit Liebe und mit Einf¸hlung gemalt [...], sie machen mit ihrer immer wechselnden Belichtung das gewaltige Land ¸beraus deutlich. Ich w¸sste kein zweites Werk, das mir ein so klares Bild der inneren Landschaft des heutigen China verschafft h”tte.ì

 

 

 

Werke:

 

Zhidong Yang (Hg.): Klara Blum, Kommentierte Auswahledition, Wien, 1999

 

Zhidong Yang: Klara Blum ñ Zhu Bailan (1904 ñ 1971), Leben und Werk einer –sterreichisch-chinesischen Schriftstellerin, Frankfurt a. M., 1996