Adalbert Stifter: Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842

Es gibt Dinge, die man f½nfzig Jahre weiœ, und im einundf½nfzigsten erstaunt man ½ber die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes. So ist es mir mit der totalen Sonnenfinsternis ergangen, welche wir in Wien am 8. Juli 1842 in den fr½hesten Morgenstunden bei dem g½nstigsten Himmel erlebten. Da ich die Sache recht schñn auf dem Papiere durch eine Zeichnung und Rechnung darstellen kann, und da ich wuœte, um soundso viel Uhr trete der Mond unter der Sonne weg und die Erde schneide ein St½ck seines kegelfñrmigen Schattens ab, welches dann wegen des Fortschreitens des Mondes in seiner Bahn und wegen der Achsendrehung der Erde einen schwarzen Streifen ½ber ihre Kugel ziehe, was man dann an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten in der Art sieht, daœ eine schwarze Scheibe in die Sonne zu r½cken scheint, von ihr immer mehr und mehr wegnimmt, bis nur eine schmale Sichel ½brigbleibt, und endlich auch die verschwindet - auf Erden wird es da immer finsterer und finsterer, bis wieder am andern Ende die Sonnensichel erscheint und wîchst, und das Licht auf Erden nach und nach wieder zum vollen Tag anschwillt - dies alles wuœte ich voraus, und zwar so gut, daœ ich eine totale Sonnenfinsternis im voraus so treu beschreiben zu kñnnen vermeinte, als hîtte ich sie bereits gesehen.
Aber, da sie nun wirklich eintraf, da ich auf einer Warte hoch ½ber der ganzen Stadt stand und die Erscheinung mit eigenen Augen anblickte, da geschahen freilich ganz andere Dinge, an die ich weder wachend noch trîumend gedacht hatte, an die keiner denkt, der das Wunder nicht gesehen.
Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so ersch½ttert, von Schauer und Erhabenheit so ersch½ttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hîtte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hîtte es verstanden. Ich stieg von der Warte herab, wie vor tausend und tausend Jahren etwa Moses von dem brennenden Berge herabgestiegen sein mochte, verwirrten und betîubten Herzens.
Es war ein so einfach Ding. Ein Kñrper leuchtet einen andern an, und dieser wirft seinen Schatten auf einen dritten: aber die Kñrper stehen in solchen Abstînden, daœ wir in unserer Vorstellung kein Maœ mehr daf½r haben, sie sind so riesengroœ, daœ sie ½ber alles, was wir groœ heiœen, hinausschwellen - ein solcher Komplex von Erscheinungen ist mit diesem einfachen Dinge verbunden, eine solche moralische Gewalt ist in diesen physischen Hergang gelegt, daœ er sich unserem Herzen zum unbegreiflichen Wunder auft½rmt.
Vor tausendmal tausend Jahren hat Gott es so gemacht, daœ es heute zu dieser Sekunde sein wird; in unsere Herzen aber hat er die Fibern gelegt, es zu empfinden. Durch die Schrift seiner Sterne hat er versprochen, daœ es kommen werde nach tausend und tausend Jahren, unsere Vîter haben diese Schrift entziffern gelernt und die Sekunde angesagt, in der es eintreffen m½sse;
wir, die spîten Enkel, richten unsere Augen und Sehrohre zu gedachter Sekunde gegen die Sonne, und siehe: es kommt - der Verstand triumphiert schon, daœ er ihm die Pracht und Einrichtung seiner Himmel nachgerechnet und abgelernt hat - und in der Tat, der Triumph ist einer der gerechtesten des Menschen - es kommt, stille wîchst es weiter - aber siehe, Gott gab ihm auch f½r das Herz etwas mit, was wir nicht vorausgewuœt und was millionenmal mehr wert ist, als was der Verstand begriff und vorausrechnen konnte: das Wort gab er ihm mit: "Ich bin - nicht darum bin ich, weil diese Kñrper sind und diese Erscheinung, nein, sondern darum, weil es euch in diesem Momente euer Herz schauernd sagt, und weil dieses Herz sich doch trotz der Schauer als groœ empfindet". - Das Tier hat gef½rchtet, der Mensch hat angebetet
Ich will es in diesen Zeilen versuchen, f½r die tausend Augen, die zugleich in jenem Momente zum Himmel aufblickten, das Bild und f½r die tausend Herzen, die zugleich schlugen, die Empfindung nachzumalen und festzuhalten, insofern dies eine schwache menschliche Feder ½berhaupt zu tun imstande ist.
Ich stieg um 5 Uhr auf die Warte des Hauses Nr. 495 in der Stadt, von wo aus man die ­bersicht nicht nur ½ber die ganze Stadt hat, sondern auch ½ber das Land um dieselbe, bis zum fernsten Horizonte, an dem die ungarischen Berge wie zarte Luftbilder dîmmern. Die Sonne war bereits herauf und glînzte freundlich auf die rauchenden Donauauen nieder, auf die spiegelnden Wasser und auf die vielkantigen Formen der Stadt, vorz½glich auf die Stephanskirche, die fast greifbar nahe an uns aus der Stadt, wie ein dunkles, ruhiges Gebirge, emporstand.
Mit einem seltsamen Gef½hl schaute man die Sonne an, da an ihr nach wenigen Minuten so Merkw½rdiges vorgehen sollte. Weit drauœen, wo der groœe Strom geht, lag ein dicke, langgestreckte Nebellinie, auch im s½dñstlichen Horizonte krochen Nebel und Wolkenballen herum, die wir sehr f½rchteten, und ganze Teile der Stadt schwammen in Dunst hinaus. An der Stelle der Sonne waren nur ganz schwache Schleier, und auch diese lieœen groœe blaue Inseln durchblicken.
Die Instrumente wurden gestellt, die Sonnenglîser in Bereitschaft gehalten, aber es war noch nicht an der Zeit. Unten ging das Gerassel der Wîgen, das Laufen und Treiben an - oben sammelten sich betrachtende Menschen; unsere Warte f½llte sich, aus den Dachfenstern der umstehenden Hîuser blickten Kñpfe, auf Dachfirsten standen Gestalten, alle nach derselben Stelle des Himmels blickend, selbst auf der îuœersten Spitze des Stephansturmes, auf der letzten Platte des Bauger½stes stand eine schwarze Gruppe, wie auf Felsen oft ein Schñpfchen Waldanflug - und wie viele tausend Augen mochten in diesem Augenblicke von den umliegenden Bergen nach der Sonne schauen, nach derselben Sonne, die Jahrtausende den Segen herabsch½ttet, ohne daœ einer dankt - heute ist sie das Ziel von Millionen Augen, aber immer noch, wie man sie mit dîmpfenden Glîsern anschaut, schwebt sie als rote oder gr½ne Kugel rein und schñn umzirkelt in dem Raume.
Endlich zur vorausgesagten Minute - gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel - empfing sie den sanften Todeskuœ, ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zur½ck, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort - "es kommt", riefen nun auch die, welche bloœ mit dîmpfenden Glîsern, aber sonst mit freien Augen hinaufschauten - "es kommt", und mit Spannung blickte nun alles auf den Fortgang.
Die erste, seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen, es war die, daœ drauœen in der Entfernung von Tausenden und Millionen Meilen, wohin nie ein Mensch gedrungen, an Kñrpern, deren Wesen nie ein Mensch erkannte, nun auf einmal etwas zur selben Sekunde geschehe, auf die es schon lîngst der Mensch auf Erden festgesetzt.
Man wende nicht ein, die Sache sei ja nat½rlich und aus den Bewegungsgesetzen der Kñrper leicht zu berechnen; die wunderbare Magie des Schñnen, die Gott den Dingen mitgab, frîgt nichts nach solchen Rechungen, sie ist da, weil sie da ist, ja sie ist trotz der Rechnungen da, und selig das Herz, welches sie empfinden kann; denn nur dies ist Reichtum, und einen andern gibt es nicht - schon in dem ungeheuern Raume des Himmels wohnt das Erhabene, das unsere Seele ½berwîltigt, und doch ist dieser Raum in der Mathematik sonst nichts als groœ.
Indes nun alle schauten und man bald dieses, bald jenes Rohr r½ckte und stellte und sich auf dies und jenes aufmerksam machte, wuchs das unsichtbare Dunkel immer mehr und mehr in das schñne Licht der Sonne ein - alle harrten, die Spannung stieg; aber so gewaltig ist die F½lle dieses Lichtmeeres, das von dem Sonnenkñrper niederregnet, daœ man auf Erden keinen Mangel f½hlte, die Wolken glînzten fort, das Band des Wassers schimmerte, die Vñgel flogen und kreuzten lustig ½ber den Dîchern, die Stephanst½rme warfen ruhig ihre Schatten gegen das funkelnde Dach, ½ber die Br½cke wimmelte das Fahren und Reiten wie sonst, sie ahneten nicht, daœ indessen oben der Balsam des Lebens, Licht, heimlich versiege, dennoch drauœen an dem Kahlengebirge und jenseits des Schlosses Belvedere war es schon, als schliche eine Finsternis oder vielmehr ein bleigraues Licht, wie ein wildes Tier heran - aber es konnte auch Tîuschung sein, auf unserer Warte war es lieb und hell, und Wangen und Angesichter der Nahestehenden waren klar und freundlich wie immer.
Seltsam war es, daœ dies unheimliche, klumpenhafte, tief schwarze, vorr½ckende Ding, das langsam die Sonne wegfraœ, unser Mond sein sollte, der schñne sanfte Mond, der sonst die Nîchte so florig silbern beglînzte; aber doch war er es, und im Sternenrohr erschienen auch seine Rînder mit Zacken und Wulsten besetzt, den furchtbaren Bergen, die sich auf dem uns so freundlich lîchelnden Runde t½rmen.
Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar und immer mehr, je schmîler die am Himmel gl½hend Sichel wurde; der Fluœ schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schñne sanfte Glanz des Himmel erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein k½hle L½ftchen hob sich und stieœ gegen uns, ½ber die Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleischweres Licht, ½ber den Wîldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden, und Ruhe lag auf ihnen, aber nicht die des Schlummers, sondern die der Ohnmacht - und immer fahler goœ sich's ½ber die Landschaft, und diese wurde immer starrer - die Schatten unserer Gestalten legten sich leer und inhaltslos gegen das Gemîuer, die Gesichter wurden aschgrau - - ersch½tternd war dieses allmîhliche Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens.
Wir hatten uns das Eindîmmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendrñte; wie geisterhaft ein Abendwerden ohne Abendrñte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch auœerdem war dies Dîmmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur; gegen S½dost lag eine fremde, gelbrote Finsternis, und die Berge und selbst das Belvedere wurden von ihr eingetrunken - die Stadt sank zu unsern F½œen immer tiefer, wie ein wesenloses Schattenspiel hinab, das Fahren und Gehen und Reiten ½ber die Br½cke geschah, als sîhe man es in einem schwarzen Spiegel - die Spannung stieg aufs hñchste - einen Blick tat ich noch in das Sternrohr, er war der letzte; so schmal wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die gl½hende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlñschen, und wie ich das freie Auge hob, sah ich auch, daœ bereits alle andern die Sonnenglîser weggetan und bloœen Auges hinaufschauten - sie hatten auch keines mehr nñtig; denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlñschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zur½ck - es war ein ½beraus trauriger Augenblick - deckend stand nun Scheibe auf Scheibe - und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte - das hatte keiner geahnet - ein einstimmiges "Ah" aus aller Munde, und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten.
Hatte uns fr½her das allmîhliche Erblassen und Einschwinden der Natur gedr½ckt und verñdet, und hatten wir uns das nur fortgehend in eine Art Tod schwindend gedacht: so wurden wir nun plñtzlich aufgeschreckt und emporgerissen durch die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da auf eimmal durch den ganzen Himmel ging: die Horizontwolken, die wir fr½her gef½rchtet, halfen das Phînomen erst recht bauen, sie standen nun wie Riesen auf, von ihrem Scheitel rann ein f½rchterliches Rot, und in tiefem, kaltem, schwerem Blau wñlbten sie sich unter und dr½ckten den Horizont - Nebelbînke, die schon lange am îuœersten Erdsaume gequollen und bloœ miœfîrbig gewesen waren, machten sich nun geltend und schauerten in einem zarten, furchtbaren Glanze, der sie ½berlief - Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den Himmel.
Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer ½berlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schñner Kreis von Schimmer, blîulich, rñtlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gñsse die obenstehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daœ es rings auseinanderspritzte - das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah!
Drauœen weit ½ber das Marchfeld hin lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide grîœlich gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnat½rlich blau gesîumt; es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphîre, aber nie schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floœ das aus, mittels dessen wir sahen. Hatte uns die fr½here Eintñnigkeit verñdet, so waren wir jetzt erdr½ckt von Kraft und Glanz und Massen - unsere eigenen Gestalten hafteten darinnen wie schwarze, hohle Gespenster, die keine Tiefe haben; das Phantom der Stephanskirche hing in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles Rasseln hatte aufgehñrt, ½ber die Br½cke war keine Bewegung mehr; denn jeder Wagen und Reiter stand und jedes Auge schaute zum Himmel.
Nie, nie werde ich jene zwei Minuten vergessen - es war die Ohnmacht eines Riesenkñrpers, unserer Erde.
Wie heilig, wie unbegreiflich und wie furchtbar ist jenes Ding, das uns stets umflutet, das wir seelenlos genieœen und das unseren Erdball mit solchen Schaudern zittern macht, wenn es sich entzieht, das Licht, wenn es sich nur kurz entzieht.
Die Luft wurde kalt, empfindlich kalt, es fiel Tau, daœ Kleider und Instrumente feucht waren - die Tiere entsetzten sich; was ist das schrecklichste Gewitter, es ist ein lîrmender Trñdel gegen diese todesstille Majestît - mir fiel Lord Byrons Gedicht ein: Die Finsternis, wo die Menschen Hîuser anz½nden, Wîlder anz½nden, um nur Licht zu sehen - aber auch eine solche Erhabenheit, ich mñchte sagen Gottesnîhe, war in der Erscheinung dieser zwei Minuten, daœ dem Herzen nicht anders war, als m½sse er irgendwo stehen.
Byron war viel zu klein - es kamen, wie auf einmal, jene Worte des heiligen Buches in meinen Sinn, die Worte bei dem Tode Christi: "Die Sonne verfinsterte sich, die Erde bebte, die Toten standen aus den Grîbern auf, und der Vorhang des Tempels zerriœ von oben bis unten."
Auch wurde die Wirkung auf alle Menschenherzen sichtbar. Nach dem ersten Verstummen des Schrecks geschahen unartikulierte Laute der Bewunderung und des Staunens: der eine hob die Hînde empor, der andere rang sie leise vor Bewegung, andere ergriffen sich bei denselben und dr½ckten sich - eine Frau begann heftig zu weinen, eine andere in dem Hause neben uns fiel in Ohnmacht, und ein Mann, ein ernster fester Mann, hat mir spîter gesagt, daœ ihm die Trînen herabgeronnen.
Ich habe immer die alten Beschreibungen von Sonnenfinsternissen f½r ½bertrieben gehalten, so wie vielleicht in spîterer Zeit diese f½r ½bertrieben wird gehalten werden; aber alle, so wie diese, sind weit hinter der Wahrheit zur½ck. Sie kñnnen nur das Gesehene malen, aber schlecht, das Gef½hlte noch schlechter, aber gar nicht die namenlos tragische Musik von Farben und Lichtern, die durch den ganzen Himmel liegt - ein Requiem, ein Dies irae, das unser Herz spaltet, daœ es Gott sieht und seine teuren Verstorbenen, daœ es in ihm rufen muœ: "Herr, wie groœ und herrlich sind deine Werke, wie sind wir Staub vor dir, daœ du uns durch das bloœe Weghauchen eines Lichtteilchens vernicht kannst und unsere Welt, den holdvertrauten Wohnort, einen fremden Raum verwandelst, darin Larven starren!"
Aber wie alles in der Schñpfung sein rechtes Maœ hat, auch diese Erscheinung, sie dauerte zum Gl½cke sehr kurz, gleichsam nur den Mantel hat er von seiner Gestalt gel½ftet daœ wir hineingehen, und Augenblicks wieder zugeh½llt, daœ alles sei wie fr½her.
Gerade, da die Menschen anfingen, ihren Empfindungen Worte zu geben, also da sie nachzulassen begannen, da man eben ausrief: "Wie herrlich, wie furchtbar" - gerade in diesem Momente hñrte es auf: mit eins war die Jenseitswelt verschwunden und die hiesige wieder da, ein einziger Lichttropfen quoll am oberen Rande wie ein weiœschmelzendes Metall hervor, und wir hatten unsere Welt wieder - er drîngte sich hervor, dieser Tropfen, wie wenn die Sonne selber dar½ber froh wîre, daœ sie ½berwunden habe, ein Strahl schoœ gleich durch den Raum, ein zweiter machte sich Platz - aber ehe man nur Zeit hatte zu rufen: "Ach!" bei dem ersten Blitz des ersten Atomes, war die Larvenwelt verschwunden und die unsere wieder da: und das bleifarbene Lichtgrauen, das uns vor dem Erlñschen so îngstlich schien, war uns nun Erquickung, Labsal, Freund und Bekannter, die Dinge warfen wieder Schatten, das Wasser glînzte, die Bîume waren wieder gr½n, wir sahe uns in die Augen - siegreich kam Strahl an Strahl, und wie schmal, wie winzig schmal auch nur noch erst der leuchtend Zirkel war, es schien, als sei uns ein Ozean von Licht geschenkt worden - man kann es nicht sagen, und der es nicht erlebt, glaubt es kaum, welche freudiges welche siegende Erleichterung in die Herzen kam: wir sch½ttelten uns die Hînde, wir sagten, daœ wir uns zeitlebens daran erinnern wollen, daœ wir das miteinander gesehen haben - man hñrte einzelne Laute, wie sich die Menschen von den Dîchern und ½ber die Gassen zuriefen, das Fahren und Lîrmen begann wieder, selbst die Tiere empfanden es; die Pferde wieherten, die Sperlinge auf den Dîchern begannen ein Freudengeschrei, so grell und nîrrisch, wie sie es gewñhnlich tun, wenn sie sehr aufgeregt sind, und die Schwalben schossen blitzend und kreuzend hinauf, hinab, in der Luft umher.
Das Wachsen des Lichtes machte keine Wirkung mehr, fast keiner wartete den Austritt ab, die Instrumente wurden abgeschraubt, wir stiegen hinab, und auf allen Straœen und Wegen waren heimkehrende Gruppen und Z½ge in den heftigsten, exaltiertesten Gesprîchen und Ausrufungen begriffen. Und ehe sich noch die Wellen der Bewunderung und Anbetung gelegt hatten, ehe man mit Freunden und Bekannten ausreden konnte, wie auf diesen, wie auf jenen, wie hier, wie dort die Erscheinung gewirkt habe, stand wieder das schñne, holde, wîrmende, funkelnde Rund in den freundlichen L½ften, und das Werk des Tages ging fort.
Wie lange aber das Herz des Menschen fortwogte, bis es auch wieder in sein Tagewerk kam, wer kann es sagen? Gebe Gott, daœ der Eindruck recht lange nachhalte, er war ein herrlicher, dessen selbst ein hundertjîhriges Menschenleben wenige aufzuweisen haben wird. Ich weiœ, daœ ich nie, weder von Musik noch Dichtkunst, noch von irgendeiner Naturerscheinung oder Kunst so ergriffen und ersch½ttert worden war - freilich bin ich seit Kindheitstagen viel, ich mñchte fast sagen, ausschlieœlich mit der Natur umgegangen und habe mein Herz an ihre Sprache gewñhnt und liebe diese Sprache, vielleicht einseitiger, als es gut ist; aber denke, es kann kein Herz geben, dem nicht diese Erscheinung einen unverlñschlichen Eindruck zur½ckgelassen habe.

 

 



 

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