Das DIARIUM - Projekt wurde im Jänner 1996 mit der Frage initiiert:
Läßt sich das (individuelle) Leben als poetischer Text begreifen? (Wenn ja, wie beeinflußt dies das gelebte Leben und wie wirkt es auf den Nebel des noch zu lebenden Lebens?)
In Form von Tagebuchnotizen entsteht (unter Verwendung eines KAWECO Sport Füllfederhalters) seither zunächst eine Materialsammlung von Erlebnissen, Gefühlen, Gedanken, Worten, Dingen, u.a.m. 1996-1998 wurden aus diesem Material für jeden Tag sehr verdichtete, assoziativ geschriebene Texte verfertigt, die oft wie anagrammatische, surreale Aphorismen anmuten. Zusätzlich zum aktuellen Tagesmaterial wurden auch Textteile des entsprechenden Tages aus dem Vorjahr eingearbeitet, um eine Kontinuität des verarbeitenden Erinnerns zu ermöglichen. So können sich selbstorganisierende Textsysteme bilden, die stets neue Abbilder der Wirklichkeit entstehen lassen und den linearen Zeitablauf aufbrechen.
1999 fand nur die Materialsammlung statt. Aus diesen Notizen, die teilweise assoziativ verfremdet wurden, wurde unter Einbeziehung von Erinnerungsbruchstücken ein Text für jeden Monat erarbeitet.
2000 begann eine neue Arbeitsweise. Nun entstanden die Texte ohne den Zwischenschritt der Materialsammlung. Sie wurden täglich ohne schriftliche Formulierungshilfe solange "im Kopf" reformuliert, bis sie ihre endgültige Form gefunden hatten. Diese Arbeitsweise wurde bis Mitte Dezember durchgehalten. (Die Veröffentlichung der Tagestexte erfolgte zusätzlich für WAP-Handy http://art.wapjag.com/ diarium2000)
2001 brachte eine radikale Änderung der Präsentation. Veröffentlicht wurden im Kalenderdesign nur mehr das Datum der Tage, zu denen am jeweiligen Kalendertag Notizen zum Tag gemacht wurden. Da nicht täglich Notizen gemacht wurden, sondern immer wieder das Material zu einzelnen Tagen aus der Erinnerung gewonnen wurde, wurde somit der lineare kalendarische Zeitablauf zu einem zyklisch-repetitiven Zeiterleben aufgebrochen. 2001 ist als konkreter Text ohne inhaltliche Angaben gestaltet. Eine Ausnahme bildet die Zeit vom 25.-29.Oktober / 21.November (Tumordiagnose, Hochzeitsreise, Operation, endgültiger Befund).
2002 ist als rein visueller Text gestaltet. Von allen Tagen eines Monats wurde je ein Schriftpartikel aus den Notizen zum betreffenden Tag isoliert, computergrafisch bearbeitet und zu einem Bild zusammengesetzt. Der sprachliche Text wird zur visuellen Textur erweitert.
2003 werden wieder täglich Texte aus den Notizen produziert. Es wurde dafür eine eigene, sehr restriktive, haiku-artige Form entwickelt: Sanshi. Der Text besteht aus genau 36 Buchstaben und wird mit Hilfe von HTML in ein Bild mit 4x3 Farbflächen umgewandelt. (Dieses visuelle Transformationsverfahren von Texten wurde vom Autor 1997 unter dem Namen "Quadratur der Worte" entwickelt.) Der sprachliche Text wird damit zu einem rein visuellen Text ohne sichtbare Sprachspuren.
2004 und 2005 wird dasselbe Textproduktionsverfahren wie 2003 eingesetzt. Auch die visuelle Umsetzung geschieht in der gleichen Weise. Die Bearbeitung der Visualisierung erfolgt jedoch nicht mehr zu einem singulären Tagesbild, sondern so, dass sich das Visualisierte in die bestehenden Bildstrukturen einfügt und diese erweitert. Bei der Präsentation werden die visualisierten Texte dadurch nicht mehr einzeln, sondern im Zusammenhang gezeigt. Damit wird die visuelle Textur des Jahres deutlicher sichtbar.
Mit verschiedenen Arbeitsweisen wird so versucht die Frage zu beantworten: Läßt sich das (individuelle) Leben als poetischer Text begreifen?. Sie dokumentieren darüberhinaus die künstlerische Entwicklung vom Schriftsteller zum Medienkünstler.
Das DIARIUM-Projekt kann auf der Website www.advancedpoetx.com mitverfolgt werden (tägliche Updates!). ©2005 s.holzbauer |